Foto von senivpetro auf Freepik
Neuigkeit –
20.11.2023
Am 02.07.2023 trat das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) in Kraft, welches die Vorgaben der Hinweisgeberschutzrichtlinie der Europäischen Union umsetzt. Das Gesetz soll Hinweisgeber („Whistleblower“) vor Repressalien oder Benachteiligungen schützen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangen und diese melden.
Unternehmen mit mehr als 249 Mitarbeitenden und Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern müssen sichere Kanäle für die Meldung von Missständen einrichten und betreiben. Ab dem 17.12.2023 gilt diese Verpflichtung auch für Unternehmen und öffentliche Einrichtung mit mindestens 50 Mitarbeitenden. Die Pflicht zur Einrichtung einer internen Meldestelle kann mit eigenen Mitarbeitern betrieblich umgesetzt oder die Betreuung der internen Meldestelle kann auf einen externen Dritten übertragen werden.
Im folgenden Artikel wird die Rolle des Betriebsrates bei der Einrichtung und dem Betrieb von internen Meldestellen gemäß § 12 HinSchG sowie mögliche Wechselwirkungen zwischen dem neuen HinSchG und der Betriebsverfassung beleuchtet. Dabei wird ebenfalls auf die Besonderheiten bei der Betreuung der internen Meldestelle durch einen externen Dritten eingegangen. Insbesondere soll geklärt werden, ob dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I BetrVG bei Einrichtung und Ausgestaltung einer internen Meldestelle zusteht.
Bei der Umsetzung des HinSchG im Unternehmen ist der Betriebsrat, unabhängig von der konkret gewählten Umsetzungslösung, grundsätzlich einzubinden. Der Arbeitgeber ist nach § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG verpflichtet, den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über alles zu unterrichten, was dieser für die Wahrnehmung seiner Aufgaben benötigt. Der Betriebsrat ist also so zu stellen, dass dieser die Möglichkeit hat, selbstständig zu prüfen, ob Beteiligungsrechte bestehen oder ob sonstige Aufgaben wahrzunehmen sind.
Das „Ob“ der Einführung
Die Mitbestimmung nach § 87 I BetrVG setzt voraus, dass der zu regelnde Sachverhalt bisher nicht durch Gesetz oder Tarifvertrag geregelt ist. Im Falle einer bereits bestehenden Vorschrift bleibt für eine Mitbestimmung kein Raum. Wie oben gesehen, verpflichtet das HinSchG Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden zur Einrichtung der Meldestelle. Das „Ob“ ist also gesetzlich vorgegeben.
Bei kleineren Betrieben stellt sich somit die Frage, ob sie bei der Entscheidung, überhaupt eine Meldestelle einzurichten, den Betriebsrat beteiligen müssen. Dies ist zu bejahen, da es gerade keine gesetzliche Vorgabe zum „Ob“ der Implementierung gibt. Ausnahmsweise können Unternehmen unabhängig von der Mitarbeiterzahl zur Einrichtung einer internen Meldestelle verpflichtet sein (z.B. Finanzdienstleistungsinstitute, Wertpapierinstitute), sie können ebenfalls auf gesetzliche Regelungen zum „Ob“ referenzieren.
Das „Wie“ der Einführung
Bezüglich der Fragen zur konkreten Ausgestaltung der internen Meldestelle kommt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates vor allem aufgrund der Berührung von Fragen der betrieblichen Ordnung Betracht. Ebenso ist zu bedenken, dass eine technische Einrichtung, die zur Mitarbeiterüberwachung geeignet ist, vorliegen kann.
§ 87 I Nr. 1 BetrVG – Fragen der betrieblichen Ordnung
§ 87 I Nr. 1 BetrVG eröffnet dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Fragen der betrieblichen Ordnung.
Darunter fallen alle verbindlichen Verhaltensregeln für die Beschäftigten eines Betriebes zur Sicherung eines ungestörten Arbeitsablaufs und des reibungslosen Zusammenlebens und Zusammenwirkens der Beschäftigten im Betrieb. Legt der Arbeitgeber im Zusammenhang mit einer Einführung einer internen Meldestelle fest, wie, wann, an wen und unter welchen Bedingungen gemeldet werden muss und wie eingegangene Meldungen behandelt werden, schafft er also eine verbindliche Meldeordnung im Betrieb, so ist diese grundsätzlich mitbestimmungspflichtig. Der Mitbestimmungstatbestand umfasst die konkrete Ausgestaltung (das „Wie“) der Meldestelle. Finden Arbeitgeber und Betriebsrat keine Einigung, kann die Einigungsstelle eingeschaltet werden. Wird die Meldestelle auf Unternehmensebene angesiedelt, ist u. U. der Gesamtbetriebsrat zuständig.
Entscheidend ist im Ergebnis jedoch, dass diesbezüglich jede Regelung einzelfallorientiert berücksichtigt werden muss. Denn wenn sich der Arbeitgeber auch bei der Ausgestaltung des „Wie“ ganz nah am Gesetz orientiert, wird auch hier ein Mitbestimmungsrecht wegen gesetzlicher Vorgabe zu verneinen sein. So ist im Einzelfall entscheidend, wie verbindlich die Nutzung der Meldestellen im Betrieb ist und welche Meldungen erfasst sein sollen, denn freiwillige Angebote sind mitbestimmungsfrei.
Außerdem stellt sich weiter auch die Frage, inwieweit die Meldestellen mit den Beschwerdestellen nach § 13 AGG vergleichbar sind, für die das BAG mit Urteil vom 21.07.2009 – 1 ABR 42/08 entschieden hat, dass hier kein Mitbestimmungsrecht besteht, da die Bildung dieser Stellen lediglich Bestandteil der Organisation, nicht aber der Ordnung des Betriebes sei. Hier wird die Entwicklung der Rechtsprechung zu den Meldestellen im Auge zu behalten sein.
§ 87 I Nr. 6 BetrVG
Weiter stellt sich die Frage, ob dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 6 BetrVG zusteht. Dazu müsste die interne Meldestelle eine technische Einrichtung darstellen, die dazu bestimmt ist, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen.
Umfasst sind alle technischen Einrichtungen, die durch Beobachtung und Beaufsichtigung des Beschäftigten eine Information geben, die Rückschlüsse auf das Verhalten oder die Leistung der betroffenen Personen zulässt.
Sobald die Meldestelle datentechnisch basiert ist – z.B. beim Einsatz eines digitalen Kommunikationstools -, besteht zwar ihr Zweck nicht in der Überwachung der das Meldeverfahren nutzenden Beschäftigten, sie dient vielmehr der Aufdeckung von Missständen und Fehlverhalten von Einzelpersonen und nicht der Überwachung des Hinweisgebers, allerdings würden automatische mitarbeiterbezogene Auswertungsmöglichkeiten etwa zur Meldehäufigkeit oder Nutzungshäufigkeit dennoch vom Anwendungsbereich des Mitbestimmungstatbestands erfasst, dem eine Geeignetheit zur „Überwachung“ ausreicht. Sofern hingegen ein anonymes Meldeverfahren genutzt wird, ist eine „Überwachung“ der meldenden Person schon gar nicht möglich und der Mitbestimmungstatbestand nicht gegeben. Zugleich stellt sich bei interner Besetzung der Meldestelle durch eigene Mitarbeiter die Frage, ob das genutzte technische Kommunikationstool die Möglichkeit bietet, das Arbeitsverhalten des damit betrauten Mitarbeiters zu überwachen, da möglicherweise technische Aufzeichnungen über Login-Zeitpunkte und Bearbeitungsvorgänge gemacht werden.
Weitere Mitbestimmungstatbestände
Es gibt neben dem § 87 BetrVG noch weitere Mitbestimmungstatbestände, die ggf. zu berücksichtigen sind. Insbesondere in Betracht kommt hier der § 99 BetrVG.
Bei der Einstellung von neuem Personal für die interne Meldestelle ist für den Betriebsrat sein Informations- und Zustimmungsverweigerungsrecht (§ 99 BetrVG) eröffnet. Der häufigere Fall wird jedoch sein, dass bereits angestellte Arbeitnehmer in der Meldestelle tätig werden – ausschließlich oder neben den sonstigen Aufgaben. Hierbei wäre dann somit zu prüfen, ob eine Versetzung nach § 95 Abs. 3 BetrVG vorliegt. Die Legaldefinition in § 95 III 1 BetrVG sieht vor, dass eine Versetzung im Sinne des BetrVG vorliegt, wenn ein Arbeitnehmer einem anderen Arbeitsbereich zugewiesen wird, dies voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder dies mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen er seine Arbeit leistet. Hier ist mithin eine Einzelfallbetrachtung durchzuführen. Erheblichkeit ist zu bejahen, wenn die Änderung objektiv gesehen bedeutsam und für den betroffenen Arbeitnehmer gravierend ist, das ist z.B. dann der Fall, wenn sich die Zusatzaufgabe in ihrer Wertigkeit erheblich von der bisherigen Tätigkeit unterscheidet. Die Erheblichkeit kann also sowohl bei einer ausschließlichen Tätigkeit in der Meldestelle als auch einer solchen neben den sonstigen Tätigkeiten des Arbeitnehmers im Einzelfall zu bejahen sein.
Bei der Schulung der mit der Meldestelle beauftragten Mitarbeiter besteht ebenfalls ein Beteiligungsrecht des Betriebsrates nach § 96 ff. BetrVG. Der Betriebsrat hat hier etwa gemäß § 98 Abs. 1 BetrVG in einem verbleibenden Regelungsspielraum bei der Durchführung solcher Bildungsmaßnahmen ein Zustimmungs- und Initiativrecht.
Aufgrund obiger Ausführung ist mithin jedenfalls die Mitbestimmung des Betriebsrates bei der Einrichtung einer durch einen externen Dritten betreuten Meldestelle im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zu verneinen. Vergleichbare Regelungen wie etwa § 9 III S. 1 ASiG enthält das HinSchG nicht. Dies ist bisher allerdings bisher nicht gerichtlich geklärt.
Unter www.advowhistle.de können Sie sich informieren, wie einfach die Umsetzung mit externer Begleitung ist.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Der Betriebsrat ist über die Einführung von gesetzlich vorgeschriebenen Meldesystemen zu unterrichten (§ 80 BetrVG). Weitergehend bestehen jedoch nicht zwingend Mitbestimmungsrechte nach § 87 BetrVG bei der Umsetzung des Gesetzes, es ist vielmehr von der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall abhängig, ob solche entstehen können. Um hier jedoch Streitigkeiten und Auseinandersetzungen mit dem Betriebsrat zu vermeiden, empfiehlt sich eine Beteiligung des Betriebsrates etwa in Form einer freiwilligen Betriebsvereinbarung (§ 88 BetrVG): Dies erhöht sowohl die Akzeptanz der Meldesysteme in der Belegschaft und ermöglicht es außerdem effektiver, die Nutzung der internen Meldestellen einer externen Meldung bei Meldebehörden vorzuziehen.
Unser Team aus Arbeitsrechtsexperten und Vertrauensanwälten berät Sie gerne zur konkreten Umsetzung in Ihrem Haus. Unsere standardisierte Vorlage einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung arbeiten wir gerne individuell mit Ihnen aus. Sprechen Sie uns gerne an.
Rechtsanwältin, Partnerin,
Certified Chief Compliance Officer,
Zertifizierter Human Rights Officer
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht,
Rechtsanwalt, Partner,
Zertifizierter ESG-Officer