Neuigkeit –
18.4.2023
Insbesondere im Vertriebsbereich sind Absprachen und abgestimmte Verhaltensweisen zwischen verschiedenen Unternehmen, die den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten beeinträchtigen können und dadurch eine Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs herbeiführen, auf dem Gebiet der europäischen Union grundsätzlich verboten (sog. „Kartellverbot“ Art. 101 Absatz 1 AEUV).
Eine Ausnahme davon können sog. vertikale Vereinbarungen von Unternehmen darstellen, die auf verschiedenen Ebenen einer Produktions- oder Vertriebskette tätig sind (also zum Beispiel zwischen einem Produzenten und seinem Vertriebspartner), sofern bestimmte, durch den europäischen Gesetzgeber vorgegebene Voraussetzungen erfüllt sind.
Diese Voraussetzungen sind in der Vertikal-GVO (Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung) geregelt. Bei der Vertikal-GVO handelt es sich um eine europäische Verordnung, die bestimmte Wettbewerbsabsprachen zwischen Unternehmen für bestimmte Handelsbereiche vom Kartellverbot ausnimmt. Begleitet und ergänzt wird diese Verordnung durch Leitlinien der Europäischen Kommission, die den betroffenen Unternehmen Orientierungshilfen für die Selbstprüfung von vertikalen Vereinbarungen an die Hand geben und damit zu mehr Rechtssicherheit für die Unternehmen führen sollen.
Seit dem 01. Juni 2022 gilt die neue Gruppenfreistellungsverordnung EU 2022/720, die an Stelle der bisherigen Verordnung 2010/330 getreten ist.
Im Folgenden sollen die bedeutsamsten Änderungen und Neuerungen in einer kurzen Übersicht dargestellt werden:
Die Regelungen zum Informationsaustausch zwischen den beteiligten Unternehmen im Bereich des dualen Vertriebs wurden umfassend überarbeitet. Ein dualer Vertrieb liegt zum Beispiel vor, wenn zwei oder mehr Parteien eines Vertrages miteinander nur auf der Vertriebsebene im Wettbewerb stehen, jedoch nicht auf der Herstellerebene. Dies ist der Fall, wenn eine Partei ihre Produkte selbst herstellt und diese Produkte nicht nur durch Dritte auf der Vertriebsebene an Endkunden verkaufen lässt, sondern auch selbst an die Endkunden verkauft.
Bisher standen den Herstellern aufgrund der üblichen vertraglichen Regelungen und im Einklang mit der vorherigen GVO 330/2010 gegenüber ihren Vertriebspartnern beispielsweise umfassende Einsichts- und Kontrollrechte zu.
Diese Praxis wurde mit Inkrafttreten der neuen GVO 2022/720 eingeschränkt. Dem Hersteller stehen unter der neuen GVO nur noch eingeschränkte Informationsrechte zu und diese auch nur dann, wenn die ausgetauschten Informationen einen unmittelbaren Bezug zum Inhalt der zwischen den Parteien getroffenen vertikalen Vereinbarungen haben.
Die abgelöste Vertikal-VO 2010/330 regelte bisher, dass ein Unternehmen (Anbieter) einem Händler den aktiven Vertrieb von Waren in einem bestimmten Gebiet oder für eine bestimmte Kundengruppe nur dann verbieten konnte, wenn es dieses Gebiet oder diese Kundengruppe einem anderen Händler vertraglich exklusiv zugewiesen oder sich selbst vorbehalten hatte.
Die neue VO 2022/720 erlaubt dem Unternehmen nun, das jeweilige Gebiet oder die jeweilige Kundengruppe exklusiv an bis zu fünf Händler zuzuweisen.
Ausgenommen hiervon ist der sogenannte passive Vertrieb. Dieser kann von dem jeweiligen Unternehmen auch dritten Händlern nicht untersagt werden. Der passive Betrieb beschreibt nach der neuen Definition der Verordnung 2022/720 den auf eine unaufgeforderte Anfrage einzelner Kunden zurückgehenden Verkauf.
Vertraglich vereinbarte Wettbewerbsverbote zwischen einzelnen Unternehmen auf unterschiedlichen Stufen mussten nach der alten Vertikal-GVO noch zwingend auf die Dauer von 5 Jahren beschränkt werden und nach Ablauf neu verhandelt und geschlossen werden. Die neue Vertikal-GVO 220/720 erlaubt nun auch die stillschweigende Verlängerung dieses Zeitraums, sofern der Händler durch andere vertragliche Vereinbarungen ausreichend geschützt ist. Dieser ausreichende Schutz liegt beispielsweise vor, wenn der Vertrag zwischen dem Produzenten und dem Händler vorsieht, dass der Händler den Vertrag unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist kündigen oder zu angemessenen Kosten neu aushandeln kann.
Unter der neuen Vertikal-GVO ist es Produzenten nun auch erlaubt, Unterhändlern, also Vertragspartnern der Händler, die vertragliche Vereinbarungen mit dem Produzenten geschlossen haben, Gebiets- und Kundenbeschränkungen aufzuerlegen.
Diese Beschränkungen kann der Produzent den Unterhändlern in der Weise auferlegen, dass er seinen jeweiligen Händler verpflichtet, die vereinbarten Gebiets- und Kundenbeschränkungen auch an seine eigenen direkten Abnehmer weiterzugeben.
Die neue Vertikal-GVO stellt nun auch explizit klar, was bisher schon gängige Praxis war: Eine Beschränkung der wirksamen Nutzung des Internets durch den Händler zum Verkauf von Vertragswaren oder -Dienstleistungen ist nicht vom Kartellverbot freigestellt. Das bedeutet, dass der Produzent seinem Händler nicht pauschal verbieten kann, die Vertragswaren oder -Dienstleistungen auch über das Internet anzubieten bzw. zu vertreiben.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die neue Vertikal-GVO sowie die diese begleitenden Leitlinien bemüht sind, den Unternehmen noch sachgerechtere und praktikablere Lösungsmöglichkeiten an die Hand zu geben, um vertriebsrechtliche Vereinbarungen effektiv und rechtssicher schließen zu können. Dabei berücksichtigen sie insbesondere die vielfältigen Entwicklungen der letzten Jahre im Bereich E-Commerce.
Die neue Vertikal-GVO sieht eine Übergangsfrist von einem Jahr vor. Bestehende Vertriebsverträge müssen somit bis Ende Mai 2023 an die neue GVO angepasst werden. Dabei unterstützen Sie die Rechtsanwälte von Bette Westenberger Brink gern.
Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht,
Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz,
Rechtsanwältin, Partnerin