Publikation –

23.3.2020

Beteiligung des Betriebsrats in turbulenten Zeiten - Handlungsschnelligkeit durch virtuelle Betriebsratssitzungen?

Seit Corona steht nicht nur die Welt auf dem Kopf, auch die Wirtschaft steht vor erheblichen Herausforderungen und zwingt Unternehmen, schnell zureagieren, um der Krise zu trotzen.

Diskutiert werden in zahlreichen (arbeitsrechtlichen) Beiträgen bereits „Erste-Hilfe-Maßnahmen“, wie die Beantragung von Kurzarbeit oder deren Abbau, Einführung von Home-Office/Mobile-Office, die Anordnung von Überstunden oder einheitlichen Schutzmaßnahmen. Hier finden Sie unsere Beiträge zu den Themen: Corona-Virus, was muss der Arbeitgeber beachten? und Aus aktuellem Anlass - Kurzarbeit & Co

Vielen Unternehmen ist jedoch nicht bewusst, dass die (schnelle) Umsetzung dieser Maßnahmen in vielen Fällen die Mitwirkung, sogar die Beteiligung des (Konzern-, Gesamt-) Betriebsrats verlangt. Was aber tun, wenn sich Betriebsratsmitglieder in Quarantäne befinden oder aber quer verteilt in der Bundesrepublik wohnen mit der Folge, dass eine kurzfristige Betriebsratssitzung nicht möglich ist?

Während es in vielen Bereichen des Wirtschaftslebens selbstverständlich ist, auf „In-Persona-Meetings“ zu verzichten und sich in „virtuellen Konferenzräumen“ zu verabreden, hinkt das in die Jahre gekommene Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) der Digitalisierung von Arbeitsprozessen hinterher. Dies kann bspw. in kritischen (wirtschaftlichen) Notlagen die Handlungsfähigkeit des gesamten Unternehmens beeinträchtigen, sogar lahmlegen.

Nichtöffentliche Betriebsratssitzungen und Beschlussfassung (§§ 29 ff. BetrVG)

In den §§ 29 ff. BetrVG finden sich Regelungen zum Ablauf und Formalitäten einer ordnungsgemäßen Betriebsratssitzung sowie Beschlussfassung. Die Möglichkeit einer virtuellen Betriebsratssitzung ist dort jedoch nicht vorgesehen.

§ 30 Satz 4 BetrVG statuiert den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzungen. Die gefestigte Rechtsprechung geht deshalb von einer Präsenzpflicht der Mitglieder des Betriebsrats aus. D. h., virtuell und nicht durch „anwesende“ Betriebsratsmitglieder gefasste Beschlüsse (§ 33 Abs. 1 BetrVG) wären folglich unwirksam.

Begründet wird diese Sichtweise einerseits damit, dass andernfalls die unberechtigte Teilnahme Dritter (technisch) nicht auszuschließen sei. Andererseits folge aus § 33 BetrVG, dass eine Betriebsratssitzung eine körperliche Anwesenheit voraussetzt, die Betriebsräte also gemeinsam vor Ort sein müssen.

Handlungsfähigkeit des Unternehmens und Arbeit 4.0

Nicht erst seit Corona fordert deshalb ein großer Teil der Literatur und Vertreter aus der Wirtschaft (zuletzt der Bundesverband der Arbeitsrechtler in Unternehmen am 11.03.2020 ein Umdenken, um den Herausforderungen einer digitalen Arbeitswelt und agiler Arbeitsformen gerecht zu werden.

Zu Recht führt diese Ansicht an, Betriebsratssitzungen per Videokonferenz seien möglich und §§ 30, 33 BetrVG entsprechend auszulegen:

  • Wie in einer Präsenzsitzung sei auch bei einer Videoübertragung ein gegenseitiges Hören und Sehen möglich, ebenso eine mündliche Beratung im Gremium. Allerdings ist anzuerkennen, dass die Qualität deutlich reduziert ist, da Personen zu 60% mit dem Körper sprechen und auch nicht sprechende Teilnehmer der Sitzung i.d.R. wichtige mimische/gestische Signale senden. Wenn möglich empfiehlt es sich, durch eine reale drei- oder fünfköpfige Notbesetzung des BR den virtuellen Beschluss zu bestätigen. Im Fall des Dissenses sollte die Notbesetzung den Entscheidungsvorrang haben. Für das Verfahren bedarf es einer Regelungsabrede.
  • Möglichkeit, dass unberechtigte Dritte heimlich mithören ist gering. Die Gefahr des „heimlichen Mithörens unberechtigter Dritter“ ist letztendlich auch bei einer Präsenzsitzung gegeben, bspw. können über IT-Endgeräte Mitschnitte angefertigt oder Dritte zur Sitzung unbemerkt zugeschaltet werden.  
  • Auch bei einer virtuellen Betriebsratssitzung findet ein demokratischer Willensbildungsprozess statt, der zwingende Voraussetzung für die Beschlussfassung ist.
  • Aufsichtsratssitzungen können bereits per Videokonferenz abgehalten und der Aufsichtsrat nach § 108 Abs. 4 AktG Beschlüsse per Videokonferenz fassen. Weshalb der Einsatz digitaler Technik bei der Beschlussfassung des Betriebsrats nicht möglich sein soll, ist daher schwer einsehbar.

Handlungsalternativen: Wo kein Kläger, da kein Richter?

Welche Optionen haben nun die Betriebsparteien, um einerseits schnell, andererseits aber auch rechtssicher zu agieren?

Die Betriebsparteien sollten eine Regelungsabrede schließen und vereinbaren, dass die Beschlussfassung auch fernmündlich, d. h. virtuell möglich sein soll, zumal die Stellungnahme des Betriebsrats, bspw. Zustimmung zu einer Versetzung (§ 99 Abs. 3 BetrVG) oder Widerspruch gegen eine Kündigung (§ 102 Abs. 3 BetrVG) per E-Mail (oder anderer Textform) zulässig ist. Hier hat das BAG – trotz entgegenstehenden Wortlauts des Gesetzes – dem Bedarf zügiger Kommunikation bereits Rechnung getragen.

In diesem Kontext ist der Anwendungsbereich gemeinsam auf eng-definierte Fallkonstellationen einzugrenzen, wie z. B. besondere wirtschaftliche Engpässe, wie bei einer Epidemie, oder außergewöhnlich hohe Krankenstände. In jedem Fall sollte eine Zusicherung des Unternehmens vorliegen, gegen die in Videokonferenz gefassten Beschlüsse keine Einwände zu erheben und auf  jede gerichtliche Geltendmachung evtl. Unwirksamkeit auszuschließen.

Flankierend sollte der Einsatz von Videotechnik zur Durchführung von Betriebsratssitzungen und Beschlussfassungen in der evtl. bestehenden oder abzuschließenden Fassung der Betrieblichen Kommunikationsregeln zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat verankert werden.

Rechtliche Risiken

Auch wenn diese Praktikabilitätserwägungen sehr verlockend klingen, müssen sich die Betriebsparteien über möglichen rechtlichen Risiken im Klaren sein:

  • Aufgrund des Gesetzeswortlauts und der fehlenden Auseinandersetzung in der Rechtsprechung schwebt über virtuellen Beschlüssen des Betriebsrats das Damoklesschwert der Unwirksamkeit. Es droht im worst case sogar ein Ausschlussverfahren gemäß § 23 BetrVG. Daher kann es sinnvoll sein, die im Betrieb vertretene Gewerkschaft in die Diskussion einzubeziehen. Entscheidend ist das jeweilige Vertauensverhältnis der Betriebsparteien im Einzelfall und das Abwägen der verbleibenden Risiken mit den angeführten Praktikabilitätsgründen.
  • Schließlich müssen die Betriebsparteien dafür Sorge tragen, dass das Datenschutzniveau der DSGVO nicht unterschritten und entsprechend technische und organisatorische Maßnahmen (IT-Infrastruktur, Mobile Device Management, Verhaltensregeln etc.) getroffen werden, damit es zu keiner Datenpanne kommt.

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Dr. Frank WetzlingDr. Frank Wetzling

Fachanwalt für Arbeitsrecht und Unternehmensberater,
Rechtsanwalt

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