Publikation –
9.4.2020
Wir berichteten bereits über eine Vielzahl von Fragen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Für Arbeitgeber sollte neben der Frage, wie mit dem durch die Corona-Maßnahmen ausgelösten Arbeitsausfall umgegangen werden soll, auch von Interesse sein, wie sich das Corona-Virus auf den tatsächlichen oder gefühlten Gesundheitszustand der Mitarbeiter auswirkt, zumal dabei nicht nur eine Arbeitsunfähigkeit von der Quarantäne abzugrenzen ist, sondern auch die Frage, wonach und ob der Arbeitgeber überhaupt eine Entgeltzahlung zu leisten hat.
1. Definitionen
Dass die Begriffe Arbeitsunfähigkeit (AU) und Krankheit nicht identisch sind, ist allgemein bekannt. Die Arbeitsunfähigkeit ist rechtlich definiert, und zwar in der „AU-Richtlinie“ (Richtlinie des Bundesausschusses über die Beurteilung der AU, mit den Sonderregelungen aufgrund der Covid-19-Pandemie vom 27.3.2020). § 2 der Richtlinie erklärt, sie liege vor, wenn der Versicherte aufgrund von Krankheit seine zuletzt vor der AU ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Demgegenüber ist Krankheit jede nur denkbare negative Abweichung bzw. Beeinträchtigung des Wohlbefindens.
Der Begriff der Quarantäne ist in § 30 Infektionsschutzgesetz (IfSG) näher beschrieben, und zwar als die erforderliche Absonderung von Menschen, die an einer bestimmen Form ansteckbaren (hämorrhagischen) Fiebers erkrankt oder dessen verdächtig sind. In solchen Fällen hat das Gesundheitsamt oder die sonst zuständige Stelle die Absonderung der betreffenden Person anzuordnen.
Eine selbst verfügte Quarantäne ist nicht vorgesehen, jedoch voraussichtlich, wenn erkennbare Symptome einer Ansteckungsgefahr vorliegen, durch Meldung gegenüber dem Hausarzt und in der Regel durch Weiterleitung über diesen an die autorisierte Stelle, kurzfristig zu erreichen.
2. Der Mitarbeiter ist nicht schon deshalb arbeitsunfähig, weil die Quarantäne behördlich angeordnet wurde
Wenn der Mitarbeiter stärkeren Schnupfen und/oder Halsschmerzen hat, wird der Arzt ggf. eine AU-Bescheinigung ausstellen. Schließlich könnte sich der Zustand rasch verschlimmern. Eine AU-Bescheinigung kann jedoch nicht ausgestellt werden, wenn kein Symptom der Arbeitsunfähigkeit besteht. Das gilt selbst dann, wenn der Mitarbeiter für das Virus positiv getestet wurde. Es wird dann, wegen seiner möglicherweise erheblichen Ansteckungsgefahr für andere Kollegen aus infektionsschutzrechtlichen Gründen eine Quarantäne gegen ihn verhängt. Der Vertragsarzt wird jedoch keine AU-Bescheinigung ausstellen. Das gilt auch für positiv auf SARS-CoV-2 getestete Personen ohne Symptomatik. So zurecht auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (Coronavirus: Hinweise und Erläuterungen zur Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit (Stand 24.3.2020). Entsprechend ist zu verfahren, wenn der Mitarbeiter Kontakt mit einer nachweislich positiv getesteten Person hatte. Das Gesundheitsamt wird dann i.d.R. wegen der von ihm ausgehenden potenziellen Ansteckungsgefahr eine Quarantäne anordnen. Solange allerdings keine Symptome der Arbeitsunfähigkeit mit seinem Zustand verbunden sind, ist der Mitarbeiter nicht arbeitsunfähig und erhält daher keine Entgeltfortzahlung gem. § 3 EFZG.
Ein Grund zur Fortzahlung des Entgelts könnte sich jedoch aus der Regelung des § 616 BGB ergeben, sofern diese gesetzliche Regelung nicht – was zulässig wäre – durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag ausgeschlossen wurde. Der BGH hat in einer frühen Entscheidung vom 1.2.1979 den Anspruch eines Mitarbeiters gem. § 616 BGB wegen angeordneter Quarantäne während einer Epidemie anerkannt. Der § 616 BGB gibt an sich max. einen Anspruch von 5 Tagen. Es wird jedoch damit zu rechnen sein, dass der Anspruch auf 10 Tage verlängert wird (so findet sich etwa ein Freistellungsanspruch im PflegeZG im Umfang von 10 Tagen, wobei dieser Umfang als „nicht erhebliche Zeit“ angesehen wird oder auch im Bereich des Kinderkrankengeldes nach § 45 SGB V für jeden Elternteil).
Steht dem Arbeitnehmer kein Vergütungsanspruch nach § 616 BGB greift § 56 IFSG ein, wonach der Arbeitgeber den Verdienstausfall für die Dauer von 6 Wochen fortzahlt und diese Zahlung von der zuständigen Behörde des Landes erstattet bekommt.
3. Der Mitarbeiter fühlt sich arbeitsunfähig, begibt sich jedoch freiwillig in die Quarantäne. Er verlangt Entgeltfortzahlung.
Es trifft nicht selten zu, dass der Mitarbeiter sich matt und etwas antriebsschwach einschätzt und diesen Zustand mit einer sich entwickelnden Corona-Erkrankung in Verbindung bringt. Wenn dann auch noch der Hausarzt erklärt, er könne keinen Test machen und an das Gesundheitsamt verweist, dieses zunächst jedoch einen Test verweigert, weil die empfundene Mattigkeit oder Niedergeschlagenheit keinen Anlass dafür biete, ist er schnell entmutigt. Er geht dann evtl. aus Sorge um die besondere Heimtücke der Krankheit mit ihrer bis zu 14 Tagen andauernden Inkubationszeit in eine selbst veranlasste Quarantäne. Dieses Verhalten mag durchaus einem berechtigten Verantwortungsgefühl entsprechen, ist jedoch meist kein Anlass, ein AU-Attest auszustellen bzw. eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit anzunehmen.
3a. Hat der Mitarbeiter ggf. ein Leistungsverweigerungsrecht?
Der Mitarbeiter kann hinsichtlich der ihm übertragenen Arbeit grundsätzlich gem. § 275 Abs. 3 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht geltend machen, wenn es ihm unter Abwägung aller Umstände nicht zumutbar ist, die Arbeit zu verrichten. Entscheidend wird etwa sein, dass sein Anliegen plausibel erscheint (etwa, weil er – über 50 Jahre alt – einer höheren Risikogruppe zugehört oder Vorerkrankungen hat) und er sich auf die Unzumutbarkeit beruft. Formal würde man sicher noch zumindest einen objektiven Anknüpfungspunkt (wie etwa eine in unmittelbarer Nähe gelegene Arztpraxis oder Corona-Teststation oder zumindest die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, der Kontakt mit medizinischem oder pflegendem Personal) verlangen können, doch dürfte eine Auseinandersetzung mit dem Mitarbeiter über die Berechtigung des Fernbleibens von der Arbeit kaum zielführend sein, da der Arbeitnehmer in diesen Fällen des Gebrauchmachens vom Leistungsverweigerungsrecht ohnehin keinen Entgeltanspruch hat. Wegen der Leistungsverweigerung kann der Mitarbeiter nicht abgemahnt oder gar gekündigt werden.
Es kann zusätzlich zutreffen, dass er Familienmitglieder zu betreuen hat, die nicht mehr in die Kita oder Schule gebracht werden können oder Eltern, die einer Aufsicht bedürfen. Auch dies sind Fälle zulässiger Leistungsverweigerung, die grundsätzlich nur im Rahmen des § 616 BGB zur einer Entgeltzahlung führen. Sollten noch nicht 12-jährige Kinder erkrankt und ihre Betreuung aus ärztlicher Sicht notwendig sein, kann eine Unterstützung der Krankenkasse gem. 45 SGB V infrage kommen.
3b. Besteht ein Leistungsverweigerung bei kritischen Dienstreisen oder Kundenbesuchen
Der Einsatz eines Mitarbeiters in einem besonders kritischen regionalen Bereich, einem Hotspot, wird ebenfalls zurückgewiesen werden können, ohne dass der Arbeitgeber Sanktionsmöglichkeiten insoweit geltend machen kann. Der Mitarbeiter hat angesichts der Unberechenbarkeit der Virenübertragbarkeit und Schwere der Krankheit das Recht, die evtl. durch den Kontakt mit gefährdenden Dritten abzulehnen. Das wird insbesondere auch bei Reisen ins Ausland bei Reisewarnung zu gelten haben.
4. Verrechnung der Zeit in der Quarantäne mit Urlaubsansprüchen
Eine solche Kompensation der Freistellung des Mitarbeiters kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Die Quarantäne ist keinerlei Erholungszeit, in der der Mitarbeiter frei schalten und walten kann. Er hat sich vielmehr, auch im Fall der eigenen Veranlassung, in der Regel peinlich genau jeder Kontaktnahme mit Dritten zu entziehen und führt ein Einsiedlerdasein. Schon deshalb verbietet sich eine Verrechnung.
Sind mit Krankheitssymptome in der Zeit der Quarantäne ärztlich festgestellt, so erhält der Mitarbeiter seine Vergütung gem. § 3 EFZG fortgezahlt.
5. Berechtigung, unbezahlten bzw. vorgezogenen Urlaub zu nehmen
Bei vielen Mitarbeitern besteht derzeit ein gewisses Gefühl großer Sorge und Angst, durch Kontakte mit dem Arbeitgeber oder Kollegen in gesundheitlich akute Schwierigkeiten zu geraten. Diese Sorge mag übersteigert sein und eventuell sogar Panikgefühlen entspringen. Nicht selten hat der Mitarbeiter, etwa durch Beeinträchtigungen seines Auto-Immunsystem oder einer sonst bestehenden Vorerkrankungen, allerdings die berechtigte Veranlassung, sich zu einer höheren Risikogruppe zu zählen, auch wenn sie seinem Alter grundsätzlich nicht entspricht. Die näheren Hintergründe muss er dem Arbeitgeber nicht angeben. Es wird im Regelfall ausreichen, wenn der Arbeitgeber in solchen Fällen Verständnis zeigt und dem Mitarbeiter den unbezahlten Urlaub gewährt. Erst recht wird der Arbeitgeber gehalten sein, einer vorgezogenen Urlaubsgewährung zuzustimmen, um den persönlichen Konflikten des Mitarbeiters Rechnung zu tragen. Der Arbeitgeber wird in beiden Fällen auf sein Direktionsrecht gem. § 106 GewO infolge seiner Fürsorgepflicht im Streitfall zu verzichten haben, es sei denn, dass auch für notwendige betriebliche Arbeiten keine weitere Person - auch nicht über Verleihfirmen - zur Verfügung steht und erheblicher Schaden zu befürchten ist. In diesem Fall werden sich beide Seiten evtl. darauf verständigen, dass für eine kurze, überschaubare Zeit der Mitarbeiter noch Arbeiten auslaufend erledigt, bis Ersatz gefunden ist. Wenn keine Einigung erzielt werden kann, greift ggf. das Leistungsverweigerungsrecht gem. Ziff. 3a.
6. Privilegierte ärztliche Feststellung der AU
Infolge der Coronavirus-Pandemie stellen Ärzte heute nach telefonischer Rücksprache mit dem Patienten ein AU-Attest für den Zeitraum bis max. 14 Tage aus, sofern Erkrankungen der oberen Atemwege mitgeteilt werden. Es bedarf keiner Untersuchung und auch keiner Bild-Unterstützung des Anrufers, etwa durch Skype, Teams oder Zoom. Dadurch soll zunächst die gerade in der Krise stark beanspruchte Arztpraxis entlastet werden, zudem dem Mitarbeiter die Sorge erspart werden, dass er sich eventuell gerade noch im Wartezimmer zusätzlicher Ansteckungsgefahr aussetzt. Voraussetzung ist, dass der Mitarbeiter in den letzten 14 Tagen keinen Kontakt mit jemandem hatte, bei dem das Coronavirus nachgewiesen wurde und zudem sich auch nicht in einem Gebiet mit Covid-19 Fällen aufhielt. Darauf haben sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband verständigt. In die AU-Richtlinie wurde mit der Novellierung vom März 2020 ein geänderter § 5 aufgenommen.
7. Vorrangige Kommunikation durch Telefon-/Videokonferenzen sowie Sicherung von Hygiene- Standards
Zur Vermeidung der Ansteckungsgefahr unter den Kollegen ist die Leitung des Unternehmens im Wege wohlverstandener Fürsorgepflicht gehalten, wo immer es geht, persönliche Konferenzen und Rücksprachen durch Telefon und Videooptionen zu ersetzen. Dies bedeutet zwar in manchen Fällen die Bereitstellung von Laptops und Training, was jedoch im Verhältnis zu den dadurch erreichten Vorteilen hinsichtlich der Reduzierung der Gefahren, die in den Gruppengesprächen nahezu unweigerlich entstehen, im Regelfall von vornherein zu befürworten ist. Wenn es schon keine Anordnung der Anwendung dieser technischen Kommunikationsmittel durch die Unternehmensleitung gibt, ist zumindest der Wunsch der Mitarbeiter, entsprechend vorgehen zu dürfen, zu akzeptieren.
Ebenso wird es hinzunehmen sein, dass der Betriebsrat seine Stellungnahmen in Online-Sitzungen abhält (entsprechend der Regelung in § 41a EBRG für den See-BR) und die monatlichen Gespräche mit dem Arbeitgeber gem. § 74 Abs. 1 BetrVG digital abhält, vgl. dazu unseren Blog vom März 2020 "Beteiligung des Betriebsrates in turbulenten Zeiten".
7a. Abschluss sinnvoller Betriebsvereinbarungen (BV) bzw. - soweit keine Arbeitnehmervertretung besteht - Veröffentlichung dringlicher Appelle an die Belegschaft
Durch BV - oder ggf. dringliche Appelle - sollten rechtzeitig flankierende Maßnahmen getroffen werden, die für den Umgang untereinander bessere Orientierung und intensiveren Gesundheitsschutz vermitteln können. Sie gelten lediglich für den Zeitraum der Pandemie. Dazu gehört z.B.
1. Klarstellung unbedingt einzuhaltender Präventionsmaßnahmen, u.a. Anlegen von Schutzkleidung, Schutzmasken, generelles Unterlassen des Händegebens; dringende Bitte, Husten und Niesen mit vorgehaltenem Taschentuch bzw. in die Armbeuge zu praktizieren; Gestattung von Fieberkontrollen bei Zutritt zum Werksgelände; regelmäßige Nutzung bereitgestellter Desinfektionsmittel
2. Form ggf. besonders gründlicher Reinigung der Hände, Unterarme etc.
3. Besuch der Betriebskantine nur in zeitlich gestaffelter Form und nur bei mind. 2 Meter Abstand der Essenspartner
4. Bitte bei Fortzahlung des Entgelts in dringenden Fällen geringerwertige Arbeiten oder Arbeiten an anderen Stellen /Orten des Unternehmens zu übernehmen
5. Ersuchen von Homeoffice Tätigkeiten, soweit möglich und zumutbar, Abbau von Überstunden und ggf. Vereinbarung längeren Betriebsurlaubs
6. Übernahme von Trainings- und Schulungstätigkeiten, um Kollegen und Mitarbeiter auf Herausforderungen der Zukunft nach der Krise einzustellen. Verbesserung der Qualifikationsstruktur des Betriebs (Nutzung weiterer Fördermittel gem. „Arbeit von morgen“-Gesetz)
7. Bereitstellung und Abrufbarkeit antiviraler Medikamente beim Werksarzt.
8. Möglichkeit, unbezahlten Urlaub / Sabbatical zu nehmen.
9. Bitte, Verbesserungsvorschläge für die Optimierung des betrieblichen Gesundheitsschutzes aktiv einzubringen, mit der Zusage, sie bei Eignung zu veröffentlichen und zu prämieren.
7b. Einsatz einer betrieblichen Task-Force
Im Unternehmen sollte es – wenn von der Größe möglich und nach Dringlichkeit sinnvoll – eine Gruppe von Mitarbeitern geben, die mit dem Betriebsarzt und den Arbeitsschutzbeauftragten und Sicherheitsfachkräften, gegebenenfalls auch im Kontakt mit dem örtlichen Gesundheitsamt steht, regelmäßige Treffen durchführt und versucht, Ursachen und Abwehrmöglichkeiten zu ermitteln, insbesondere, wenn es sog. hot spots (häufige Krankheitsfälle) im Betrieb gibt und zügig die weitere Ansteckungsgefahr einzudämmen ist. Diese Aufgabe kann auch dem Arbeitsschutzausschuss gem. § 10 ASiG übertragen werden. In ihm sind typischerweise alle betrieblichen Experten versammelt und sind entsprechende Maßnahmen zu besprechen und Analysen vorzubereiten.
8. Befragung des Mitarbeiters im Verdachtsfall
Es hat bereits Fälle gegeben und wird sie auch in Zukunft geben, in denen vermutet wird, ein Kollege habe mit einer positiv getesteten Person Kontakt gehabt oder zeige angeblich coronatypische Symptome (Fieber und trockenen Husten). Dieser Mitarbeiter könne daher vielleicht eine ernste Gefahr für andere - Kollegen, Kunden, Lieferanten - darstellen. In einem solchen Fall wird der Arbeitgeber wegen seiner Fürsorgepflicht ein Interesse daran haben, den Mitarbeiter konkret und zügig zu befragen. Es stellt sich die Frage, ob der Mitarbeiter sich einem solchen Kontrollgespräch zu stellen und Auskünfte zu geben hat. Die Frage ist grundsätzlich zu bejahen. Der Arbeitgeber muss imstande sein, solchen Verdachtssituationen nachzugehen, gerade auch dann, wenn der Mitarbeiter selbst der Ansicht ist, es läge nach seinem Verständnis kein Verdacht vor. Der Arbeitgeber ist gem. § 26 BDSG berechtigt, die Auskunft zu verlangen, der Mitarbeiter seinerseits verpflichtet, die verlangte Information wahrheitsgemäß zu erteilen.
Gem. § 16 ArbSchG und der arbeitsvertraglichen Mitwirkungspflicht ist der Mitarbeiter sogar gehalten, von sich aus über eine Gefährdungssituation, in die er evtl. völlig unwillentlich hineingeriet, Meldung zu erstatten. Wegen der großen Gefahr, die bekanntlich auch von Personen ausgehen kann, die noch keinerlei Symptome verspüren, ist diese Verpflichtung als wichtig und ernsthaft anzusehen. Das Versäumnis könnte wegen der Garantenstellung evtl. sogar strafrechtliche Bedeutung haben. Der Arbeitgeber sollte hierauf im Intranet oder durch Aushang hinweisen, wenn es Zeichen seiner Ansteckungsgefahr gibt oder geben könnte.
9. Mitarbeiteruntersuchungen
Angesichts der grundgesetzlich geschützten körperlichen Unversehrtheit des Arbeitnehmers, die der Arbeitgeber strikt zu beachten hat, stellt sich die Frage, ob es zulässige schonende Prüfmethoden gibt, welche als Frühindikator für eine fiebrige Erkrankung hilfreich sein können und vom Mitarbeiter zu dulden wären. Das ist wegen der Dringlichkeit der zu schützenden Belegschaft, die durch den kranken Einzelnen evtl. erheblich geschädigt wird, zu bejahen. Man hat hier etwa an eine Messung durch das Stirn- oder Schläfenthermometer beim Eintritt in den Werksbereich zu denken. Dieser Messvorgang ist heute nahezu jedem – zumindest durch Fernsehbilder über ihre Verwendung an den Staatsgrenzen - bekannt. Der Mitarbeiter ist wegen der außerordentlichen Geringfügigkeit des Eingriffs zur Duldung verpflichtet. Der Vollständigkeit halber sei allerdings darauf hingewiesen, dass Temperaturmessungen jedenfalls ohne weitere Krankheitssymptome und als pauschale Zutrittsvoraussetzung etwa zum Werksgelände datenschutzrechtlich bedenklich sind, da ein berechtigtes Interesse an der Ermittlung der Körpertemperatur fehlen dürfte, da eine erhöhte Körpertemperatur keine verlässliche Aussage zu einer Coronavirus-Infektion ist, für eine solche nicht einmal zwingend ist.
Bei einem Verdacht wegen eigenartiger Hustenanfälle kann auch die Untersuchung durch den Betriebsarzt angezeigt sein. Natürlich wird der Betriebsarzt nicht die Diagnose nach der Untersuchung an den Arbeitgeber weitergeben dürfen, es sei denn, der Mitarbeiter ist mit der Weitergabe dieser Daten einverstanden. Allerdings hat der Betriebsarzt den Arbeitgeber in allen Fragen des Gesundheitsschutzes gem. § 3 Abs. 1 ASIG zu unterstützen, so dass – ohne jeden Hinweis auf die Diagnose – darauf hinzuweisen ist, dass der Mitarbeiter zurzeit nicht einsatzfähig ist.
10. Verpflichtung zu Arbeitsleistungen während der Quarantäne im Homeoffice?
In aller Regel ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, dem Mitarbeiter – etwa wegen Schließung der Betriebsstätte – eine Homeoffice-Regelung aufzubürden. Das LAG Berlin hat in einer Entscheidung vom 10.10.2018 entschieden, der Mitarbeiter müsse es nicht hinnehmen, auf eine Homeoffice Tätigkeit verwiesen zu werden, wenn der Betrieb ihm den Arbeitsraum verschließt. Die wegen der Verweigerung des Mitarbeiters ausgesprochene Kündigung hatte keinen Erfolg. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Vertrag mit diesem Mitarbeiter keine Versetzungsklausel einschloss. Daher kam es ausschließlich darauf an, ob die entsprechende Weisung durch das Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt war. Die Weisung hat das LAG zurecht als unangemessen gem. § 315 Abs. 1 BGB abgelehnt. Die Entscheidung wurde u.a. auch damit begründet, die Unverletzlichkeit der Wohnung gem. Art. 13 GG stehe einer solchen Weisung entgegen.
Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob der Arbeitgeber nicht ohnehin wesentlich vernünftiger vorginge, wenn er von einer „dringenden Bitte“ statt von einer Anordnung spricht. Natürlich müssten dann, wenn es sich um eine Betriebsschließung handelt, Ersatz-Büroräume zur Verfügung stehen, was in heutiger Zeit (zumindest außerhalb ländlicher Gebiete) kaum ein Problem darstellen dürfte. Mit einer nachdrücklichen Bitte und Bereitschaft der Unterstützung durch den Arbeitgeber, in Form der Bereitstellung von Laptops und anderen elektronischen Arbeitsmitteln, wird voraussichtlich zu einem großen Teil die Akzeptanz der Mitarbeiter gewonnen werden können. Mit einer entsprechenden Regelung der Freiwilligkeit wäre auch die Blockade aus Art. 13 GG überwunden.
Es stellt sich zudem die Frage, ob die in vielen Arbeitsverträgen vorhandene Versetzungsklausel den Art. 13 GG überwinden könnte. Das wird zu verneinen sein, da das Grundrecht ein hohes Schutzgut darstellt, welches nicht durch eine arbeitsvertragliche Regelung unterlaufen werden kann. Das gilt selbst dann, wenn es eine Homeoffice Regelung durch eine Betriebsvereinbarung gibt. Damit ist allerdings nicht gesagt, eine Verweisung auf einen Mobile Workplace – freien, nicht wohnungsgebundenen Telearbeitsplatz – sei gänzlich ausgeschlossen. Wenn es die Möglichkeit gibt, die Tätigkeit des Mitarbeiters außerhalb seiner Wohnung, etwa in einem angemieteten Ersatzbüro zu erledigen, wird eine solche Regelung dank der Versetzungsklausel (mit Zustimmung des Betriebsrats bzw. ihrer Ersetzung durch das Arbeitsgericht) erfolgreich durchsetzbar sein. Ergänzend verweisen wir auf unseren Blog zum Home-Office – arbeitsrechtliche Grundlagen.
11. Auswirkungen der evtl. Homeoffice-Regelung auf die Arbeitszeit
Nach den Erfahrungen, die im Zusammenhang mit Homeoffice-Regelungen gemacht werden, ergibt es sich meist, dass ein Teil der Arbeitszeit – unter Berücksichtigung der Aktivitäten, die etwa zur Entlastung des Ehepartners oder aus anderen Gründen während des Tages getätigt werden, auf den Zeitraum nach dem Abendessen verteilt wird. Das ist für Mitarbeiter, die im starken Umfang konzeptionelle, strategische Arbeiten zu erledigen haben, häufig auch eine angestrebte Verbesserung der Lebensqualität, die damit beginnt, dass die Fahrt zum Betrieb entfällt und sich sinnvoll durch eine größere Freiheit bei der Planung der dienstlichen Arbeit im Haus fortsetzt. Der Mitarbeiter überschreitet dabei nicht selten die 10-Stunden-Grenze, wenn er sich im Schutz der Abgeschiedenheit für bestimmte Angelegenheiten konzentriert einsetzt. Hinderlich ist dann jedoch die – gem. § 16 Abs. 2 ArbZG bestehende - Verpflichtung des Arbeitgebers, zu kontrollieren, ob der Mitarbeiter jeweils die 11 Stunden Ruhezeit einhält. Nicht alle in Homeoffice tätigen Mitarbeiter werden Schlag 21 Uhr ihre Tätigkeit einstellen, wenn am nächsten Morgen um 8 Uhr eine wichtige Telefonkonferenz startet. Daher wird in Zeiten der Homeoffices verschiedentlich zurecht vorgetragen, dass eine starre elfstündige Ruhezeit unrealistisch erscheint und an den Bedürfnissen erforderlicher Flexibilität vorbeigeht, gleichwohl dies von der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften, die auch in Zeiten wie diesen gelten, grundsätzlich nicht entbindet, sodass auch aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers mit Blick auf die Gesundheit des Mitarbeiters die Grenzen der Arbeitszeit und die Einhaltung der Pausen nicht gänzlich vernachlässigt werden sollten.
12. Freistellung einzelner Mitarbeiter aus konkretem Schutzinteresse
Zumindest dann, wenn eine Freistellung vertraglich vereinbart wurde – etwa, um im Kündigungsfall oder aus sonstigen überwiegenden Interessen des Arbeitgebers das Recht des Mitarbeiters auf tatsächliche Beschäftigung entfallen zu lassen – wird eine solche Befugnis auch im Fall einer Epidemie bestehen.
Die Freistellung ist z.B. wichtig, um im Bedarfsfall im Großraumbüro evtl. Platz zu schaffen, so dass die Mitarbeiter jeweils eine größere räumliche Distanz zum Nachbarn haben, im Fall der Rückkehr aus einem Krisengebiet oder wenn der Mitarbeiter deutliche oder rätselhafte Anzeichen einer Erkrankung zeigt, die in die Richtung einer Viruserkrankung gehen können. In all diesen Fällen wird dem Arbeitgeber das Recht zustehen, den Mitarbeiter vorübergehend von der Arbeitsstätte fernzuhalten – zum Schutz der Gesamtbelegschaft. In diesem Fall wird der Arbeitgeber voraussichtlich bemüht sein, Homeoffice-Regelungen zu vereinbaren. Der Mitarbeiter behält jedoch seinen Vergütungsanspruch.
13. Wer trägt das Risiko, wenn der Mitarbeiter wegen pandemiebedingter Absperrung oder Einstellung des öffentlichen Nahverkehrs den Betrieb nicht erreichen kann?
In diesem Fall hat weder der Mitarbeiter noch der Arbeitgeber einen Anlass dafür gesetzt, dass die Arbeit vom Mitarbeiter nicht aufgenommen werden kann. Es wird zur Klärung, wer das Risiko in diesem Fall zu tragen hat, jedoch ebenso zu entscheiden sein, wie im Fall der Überflutung einer Straße oder eines nicht vorhersehbaren Staus oder Ausfalls der Bahnverbindung. Es handelt sich um das sog. Wegerisiko, welches vom Mitarbeiter zu tragen ist.
14. Reduzierung betrieblicher Kosten, die durch die Corona Krise erwachsen
Die wichtigste Form, die Krise möglichst noch in einigermaßen erträglicher Form für den Betrieb zu gestalten, ergibt sich durch die Möglichkeit, gem. § 95 SGB III Kurzarbeit anzuordnen. Sie schafft in der Regel die Möglichkeit, einen größeren Kreis der qualifizierten, für den Betrieb häufig wichtigen Fachkräfte zu halten.
Die Anwendung der gesetzlichen Möglichkeit setzt eine arbeitsvertragliche Vereinbarung oder zumindest eine Betriebsvereinbarung bzw. tariflich anzuwendenden Regelung voraus. Durch das Kurzarbeitergeld kann in der Regel die Mehrheit der Mitarbeiter gehalten werden, die allerdings häufig eine deutliche Entgeltsreduzierung hinzunehmen haben, vgl. dazu im Einzelnen unseren Blog "Aus aktuellem Anlass Kurzarbeit & Co".
15. Kostenrisiko bei erforderlicher Betriebsschließung
Wird als Maßnahme im Sinne des Infektionsschutzgesetzes die Schließung des Betriebes behördlich veranlasst, handelt es sich um einen Fall des Betriebsrisikos gemäß § 615 S. 3 BGB, das der Arbeitgeber allein trägt. Er ist in diesen Fällen berechtigt, Kurzarbeit einzuführen. Sollte der Arbeitgeber planen einen Betriebsteil oder den ganzen Betrieb zu schließen, so trägt er ebenfalls das sog. wirtschaftliche Risiko gem. § 615 S. 3 BGB. Er hat, sofern Aufhebungsverträge nicht erfolgreich durchgeführt werden können, Kündigungen auszusprechen und bis zum Schluss der Kündigungsfrist die Entgelte zu zahlen. Ist der Betrieb insolvent, so kann der Insolvenzverwalter mit einer verkürzten Kündigungsfrist von 3 Monaten gem. § 113 InsO kündigen.
16. Korrekte Angaben zur Gesundheitssituation im Land und aktuelle Zustandsberichte
Die Webseite des Robert Koch-Instituts berichtet in sachlicher und korrekter Weise über gesundheitspolitische Informationen. Die Berichte durchlaufen jeweils einen gründlichen Überprüfungsprozess und sind entweder von der WHO oder von der Regierung unter Hinzuziehung von Experten des betroffenen Landes als korrekt klassifiziert. Gerüchten und unbestätigten Nachrichten, wie sie beispielsweise in sozialen Medien häufig vorkommen, wird seitens des Instituts gezielt nachgegangen, um zu ihnen ggf. Stellung zu nehmen.