Publikation –

3.4.2020

An der Schnittstelle zwischen Compliance und Datenschutz: Von der offenen Ermittlungsmaßnahme bis zur Verdachtskündigung (Teil 2)

Während sich der erste Teil unseres Beitrags mit Fragen der prozessualen Verwertbarkeit von Daten beschäftigt, die ein Unternehmen im Rahmen einer Compliance-Maßnahme erlangt hat, soll im zweiten Teil das Augenmerk auf die Besonderheiten und Voraussetzungen beim Ausspruch einer Verdachtskündigung gelegt werden.

Teil I unseres Beitrags zu diesem Thema finden Sie hier.

Dreh- und Angelpunkt ist in der Praxis folgende Frage:

Was kann ich tun, wenn die Compliance-Maßnahmen den Vorwurf nicht bestätigen können und es „lediglich“ beim Verdacht bleibt, ein Mitarbeiter habe gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen.

Allgemeine Voraussetzungen

Eine Verdachtskündigung kann als außerordentliche oder aber auch als (hilfsweise) ordentliche Kündigung ausgesprochen werden. Sie ist als außerordentliche Verdachtskündigung nach § 626 Abs. 1 BGB wirksam, wenn

  • dringende auf objektiven Tatsachen beruhende schwerwiegende Verdachtsmomente vorliegen und
  • diese geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören und
  • dem Arbeitgeber unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Dringender Verdacht einer Straftat oder schweren Pflichtverletzung

Der Verdacht muss konkret und dringend sein. Übersetzt bedeutet dies Folgendes:

  • Dringend bzw. erdrückend ist ein Verdacht, wenn eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass er inhaltlich zutreffend ist.
  • Konkret ist der Verdacht hingegen, wenn er nicht nur auf bloße, mehr oder weniger einfache Vermutungen gestützt ist.

Die Verdachtsmomente können dabei auf inner- (z. B. Diebstahl) wie außerdienstliches (z. B. Reputationsschaden für den Arbeitgeber) Verhalten zurückgeführt werden.  

Wird einem Mitarbeiter die Begehung einer Straftat, z. B. der Diebstahl eines Dienst-Laptops, vorgeworfen und gegen ihn ein Ermittlungs- und Strafverfahren eingeleitet, befreit dies den Arbeitgeber nicht davon, seinen Verdacht „in eigene Worte“ zu fassen. Der pauschale Verweis, die Strafverfolgungsbehörde gehe doch schließlich von einem Tatverdacht aus, genügt insoweit nicht.

Innerbetriebliche Sachverhaltsaufklärung

Es müssen aus eigener Initiative zügig zumutbare, unternehmensinterne Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung des vorgeworfenen Sachverhalts unternommen und belegbar dokumentiert werden. Die Dauer und der Umfang der jeweiligen Sachverhaltsaufklärung sind jedoch einzelfallabhängig und können gerade bei umfangreichen Vorwürfen mitunter mehr Zeit in Anspruch nehmen.

Zu denken ist hierbei z. B. an Mitarbeiterbefragungen.

Anhörung des verdächtigten Mitarbeiters

Zu den erforderlichen Aufklärungsmaßnahmen gehört insbesondere die vorherige Anhörung des verdächtigten Mitarbeiters zu den Vorwürfen, die kein Verhör darstellen darf. Eine Verpflichtung, dem Arbeitnehmer das Gesprächsthema mitzuteilen, besteht nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (strittig) hingegen nicht.

Bei der Anhörung sind folgende Schritte in jedem Fall zu beachten:

  • Dem Mitarbeiter muss die Gelegenheit gegeben werden, eine konkrete Stellungnahme abzugeben.
  • Der Arbeitgeber muss dem Mitarbeiter alle ihm im Zeitpunkt der Anhörung vorliegenden Anhaltspunkte mitteilen.
  • Die Anhörung sollte innerhalb einer Woche nach Kenntniserlangung der den Verdacht begründenden Umstände erfolgen.

Verweigert der verdächtigte Mitarbeiter die Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung oder erklärt er, sich nicht zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern zu wollen, muss ihn der Arbeitgeber nicht weiter über die Verdachtsmomente informieren und anhören. Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn der Mitarbeiter längerfristig erkrankt und gerade aufgrund seiner Erkrankung an einer schriftlichen Stellungnahme gehindert ist.

Vorsicht ist in diesem Zusammenhang geboten, soweit der Arbeitnehmer die Teilnahme eines Rechtsanwalts an seiner Anhörung begehrte und dies seitens des Arbeitgebers abgelehnt wurde. Sollte der Arbeitnehmer die Zuziehung eines Rechtsanwalts bei der Anhörung fordern, sollte dieser Forderung u. E. entsprochen werden, da die Anhörung andernfalls nach Ansicht des BAG nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Andererseits ist der Arbeitgeber nicht gezwungen, den Arbeitnehmer auf die Möglichkeit, einen Rechtsanwalt zur Anhörung hinzuziehen zu können, hinzuweisen.

Gleiches gilt für die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds am Anhörungsgespräch. Soweit keine guten Gründe vorliegen, ergibt sich ein Teilnahmerecht bereits aus § 82 Abs. 2 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).

Muss abgemahnt werden?

Da in Fällen einer Verdachtskündigung so schwere und erkennbar nicht hinnehmbare Pflichtverletzungen bzw. Straftaten im Raum stehen, ist u. E. eine Abmahnung – zumindest bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen einer Verdachtskündigung – grundsätzlich entbehrlich.

Anhörung des Betriebsrats

Der Betriebsrat muss vor Ausspruch der Verdachtskündigung nach § 102 Abs. 1 BetrVG angehört werden. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat angeben, ob er eine Tat- oder eine Verdachtskündigung, oder sogar beides aussprechen möchte. Dem Betriebsrat sind dabei nicht nur die belastenden, sondern auch alle den Arbeitnehmer entlastenden Aspekte mitzuteilen.

Wird der Betriebsrat lediglich zu einer Tatkündigung angehört, kann sich der Arbeitgeber in einem Kündigungsschutzprozess nicht mehr auf den Verdacht als Kündigungsgrund stützen. Umgekehrt steht § 102 BetrVG der Umwandlung einer Verdachtskündigung in eine Tatkündigung nicht entgegen, wenn dem Betriebsrat bei Anhörung zur beabsichtigten Verdachtskündigung alle Tatsachen mitgeteilt worden sind, die – ggf. auch im Rahmen zulässigen Nachschiebens – nicht nur den Verdacht, sondern den Tatvorwurf selbst begründen.

Ultima ratio - Prinzip und Interessenabwägung

Abschließend muss eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen werden, ob die Fortsetzung unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände unzumutbar ist. Dabei ist zugunsten des Arbeitnehmers ein erworbenes Vertrauensguthaben, bspw. das Gewicht und die Auswirkungen der vorgeworfenen Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens oder die bisherige störungsfreie Dauer des Arbeitsverhältnisses.

Schließlich dürfen auch keine milderen Mittel als Reaktion auf die eingetretene Vertrauensstörung in Betracht kommen, wie bspw. eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder aber eine Versetzung.

Fristgerechter Ausspruch der Kündigung (Ausschlussfrist)

Möchte der Arbeitgeber eine außerordentliche Verdachtskündigung aussprechen, muss er dies innerhalb von zwei Wochen, nachdem er Kenntnis von den die Verdachtsmomente begründenden Tatsachen erlangt hat, tun (§ 626 Abs. 2 BGB).

Gerade bei komplexen Sachverhalten ist die Frist für den Kündigungsausspruch häufig bereits abgelaufen. Soweit der Arbeitgeber in solchen Fällen die Sachverhaltsaufklärungen belegbar mit der gebotenen Eile durchführt, wird der Anlauf dieser Zwei-Wochen-Frist nach der Rechtsprechung des BAG jedoch gehemmt.

Anders als für eine außerordentliche Verdachtskündigung besteht für eine ordentliche Verdachtskündigung keine starre Frist für deren Ausspruch. Allerdings kann ein längeres Zuwarten zu der Annahme berechtigen, die Kündigung sei nicht im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG durch den Verlust des vertragsnotwendigen Vertrauens „bedingt“. Dem liegt zugrunde, dass eine ordentliche Verdachtskündigung durch den eingetretenen Vertrauensverlust nur dann im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG „bedingt“ sein kann, wenn das dem Verdacht zugrunde liegende Verhalten, – wäre es erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde. Das spricht dafür, dass sich der Arbeitgeber auch bei einer ordentlichen Verdachtskündigung zügig entscheiden muss. All dies ist abhängig vom Einzelfall. Daneben kommt eine Verwirkung des Kündigungsrechts nach § 242 BGB in Betracht (BAG, Urteil vom 31.01.2019 – 2 AZR 426/18).

Fazit

Will ein Arbeitgeber eine Verdachtskündigung aussprechen, ist nicht nur schnelles, sondern vor allem auch organisiertes Handeln geboten. Auch wenn die Stimmung mitunter aufgeladen sein kann und man den Tatverdächtigen am liebsten sofort loswerden möchte, muss eine lückenlose Dokumentation der Sachverhaltsaufklärung, insbesondere der notwendigen Anhörung des Arbeitnehmers erfolgen. Andernfalls sind die Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage nicht als gut zu bewerten, da der Arbeitgeber die seinen Verdacht begründenden Tatsachen bzw. Indizien darlegen und – soweit der Mitarbeiter diese bestreitet - „voll“ beweisen muss.

Empfehlenswert ist der Ausspruch einer so genannten „Vierfachkündigung“. Hierunter versteht man den Ausspruch einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Tatkündigung, die flankiert wird durch eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Verdachtskündigung.

Im Ergebnis sollten Arbeitgeber als Reaktion auf schwere Pflichtverstöße vier Kündigungen aussprechen, nämlich

1. eine außerordentliche und fristlose Kündigung wegen des aus Sicht des Arbeitgebers nachweisbaren Pflichtverstoßes (fristlose verhaltensbedingte Tatkündigung),

2. hilfsweise für den Fall der Unwirksamkeit der fristlosen verhaltensbedingten Tatkündigung eine außerordentliche und fristlose Verdachtskündigung wegen des aus Sicht des Arbeitgebers dringenden Verdachts, der auf dem Arbeitnehmer lastet (fristlose personenbedingte Verdachtskündigung),

3. hilfsweise für den Fall der Unwirksamkeit der vorstehenden Kündigungen eine frist-gemäße verhaltensbedingte Kündigung, denn das Gericht sieht den Pflichtverstoß möglicherweise als erwiesen, aber als nicht ganz so schwerwiegend an (ordentliche verhaltensbedingte Tatkündigung),

4. "höchst hilfsweise" für den Fall der Unwirksamkeit aller der vorgenannten Kündigungen eine fristgemäße Verdachtskündigung wegen des aus Sicht des Arbeitgebers dringenden Verdachts, der auf dem Arbeitnehmer lastet (ordentliche personenbedingte Verdachtskündigung).

Zu beachten ist der Ausspruch von vier Kündigungen auch in Bezug auf eine eventuell notwendige Betriebsratsanhörung (siehe oben). Die Anhörung sollte hinsichtlich jeder der genannten Kündigungen erfolgen, da sowohl Verdacht und Tat als auch außerordentlich und ordentlich jeweils eigene Kündigungen darstellen. Zu jeder dieser Kündigungen ist der Betriebsrat ausdrücklich anzuhören, um die Wirksamkeit der Kündigung nicht zu gefährden. Jedem Arbeitgeber ist in dieser Konstellation somit die Anhörung zu vier Kündigungen sowie der Ausspruch von vier Kündigungen zu empfehlen.

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Sabrina HüttichSabrina Hüttich

Fachanwältin für Arbeitsrecht,
Rechtsanwältin, Counsel

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