Neuigkeit –
6.10.2020
Zum Ende September ist die Aussetzung der haftungs- und strafbewehrten Antragspflichten nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB ausgelaufen. Allgemein wird damit gerechnet, dass die Zahl der Insolvenz nun ansteigen wird und ein Nachholeffekt für den Zeitraum vom 01.03.2020 bis 30.09.2020 eintritt. Auch die Bundesagentur für Arbeit stellt sich auf eine „mögliche Pleitewelle“ ein, wie am 02.10.2020 in den Zeitungen getitelt wurde.
In unserer Beratungspraxis stellen wir fest, dass vermehrt die Frage an uns herangetragen wird, ob und wann Aufsichtsräte einer Aktiengesellschaft (oder GmbH) ihr Amt niederlegen können, falls sie die Insolvenz „ihres“ Unternehmens befürchten.
Ganz allgemein lässt sich feststellen, dass sich die herrschende Meinung zu der Frage, unter welchen Bedingungen ein Aufsichtsrat sein Amt niederlegen kann, gewandelt hat. Zunächst wurde die Ansicht vertreten, dass es für die wirksame Amtsniederlegung durch ein Aufsichtsratsmitglied das Vorliegen eines wichtigen Grundes bedürfe. Inzwischen vertritt die ganz herrschende Meinung die Auffassung, dass ein Aufsichtsratsmitglied sein Amt jederzeit auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes niederlegen kann (vgl. Hüffer/Koch § 103 Rn 17). Die Niederlegung des Amts ist ungeachtet des Vorliegens des wichtigen Grundes wirksam. Allerdings setzt sich das Aufsichtsratsmitglied einem Schadenersatzanspruch der Gesellschaft aus, falls die Amtsniederlegung zur Unzeit erfolgt. In diesen Fällen haftet das Aufsichtsratsmitglied der Gesellschaft für die Folgen der „unzeitigen“ Niederlegung, (vgl. Spindler, § 103, Rn 63).
Die Amtsniederlegung zur Unzeit ist bei einem Geschäftsführer einer GmbH, dem Rechtsgedanke der §§ 627 Abs. 2, 671 Abs. 2 BGB folgend, anzunehmen, wenn die Gesellschaft durch die Amtsniederlegung handlungsunfähig wird und er sie damit der Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Pflichten entzieht (vgl. Lutter/Hommelhoff § 38 Rn 44).
Diese Argumentation lässt sich auch auf das Aufsichtsratsmitglied übertragen, wobei nicht zu übersehen ist, dass die Schwelle der Handlungsunfähigkeit für den Aufsichtsrat höher liegen wird, als bei einem Geschäftsführer, den deutlich mehr Pflichten in der Führung des Unternehmens treffen, vor allem auch weil er das Unternehmen nach außen gegenüber Dritten vertritt. Dies ist eine Aufgabe, die der Aufsichtsrat auch als Organ nur in ganz wenigen Fällen hat.
In der Beratung sind hier verschiedene Aspekte zu prüfen:
Führt die Amtsniederlegung tatsächlich zur Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft. Formal wäre das zu bejahen, wenn der Aufsichtsrat nur mit der gesetzlichen Mindestzahl von Aufsichtsratsmitgliedern besetzt ist und keine Ersatzmitglieder, die beim Ausscheiden eines Aufsichtsratsmitglieds nachrücken, bestimmt wurde. In dieser Situation zwingt die Amtsniederlegung die Gesellschaft dazu, eine Hauptversammlung einzuberufen und ein neues Aufsichtsratsmitglied zu bestellen, um die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats wiederherzustellen.
Erfolgt die Amtsniederlegung aus Sicht der Gesellschaft zur Unzeit? Grundsätzlich kann in dem bloßen Umstand, dass eine Hauptversammlung abzuhalten und eine Neuwahl durchzuführen ist, selbstverständlich nicht gefolgert werden, dass die Amtsniederlegung zur Unzeit erfolgt. Das Einberufen des zuständigen Organs ist per se ein normaler Vorgang im Lebenszyklus einer Gesellschaft.
Anders wird die Sachlage zu bewerten sein, falls die Amtsniederlegung zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem das Unternehmen auf die zeitnahe Entscheidung seines Aufsichtsorgans angewiesen ist. In der Krisensituation treten die Aufgaben des Aufsichtsrats, den Vorstand zu beraten und zu beaufsichtigen in den Vordergrund. Insbesondere ist die Gesellschaft aber auf die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsorgans angewiesen, Entscheidungen des Vorstands zu genehmigen und ggf. Satzungsänderungen z.B. zur Kapitalbeschaffung zu begleiten.
Im konkreten Einzelfall ist es allerdings unbedingt erforderlich, die Satzung der Aktiengesellschaft und ggf. die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats einzusehen. Häufig finden sich hier Regelungen zur Frage, unter welchen Voraussetzungen und mit welcher Frist die Niederlegung der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat erfolgen darf. Eine gängige Regelung sieht vor, dass das Aufsichtsratsmitglied sein Amt ohne das Vorliegen eines wichtigen Grunds aber unter Einhaltung einer Frist, z.B. von einem Monat, niederlegen kann. Zwar ist anerkannt, dass die Niederlegung aus einem wichtigen Grund jederzeit möglich ist, die fristgebundene Niederlegung zu nutzen wird sich allerdings oftmals anbieten, um den Vorstand und den Aufsichtsrat vorzuwarnen und die Zeit zu nutzen, um dem Vorwurf der Niederlegung zur Unzeit zu entgehen.
Fazit:
Hier muss der Rat an den niederlegungswilligen Aufsichtsrat lauten, das Unternehmen erst zu verlassen, wenn dafür Sorge getragen wurde, dass die nächsten absehbaren Schritte in der Krise gegangen werden können, ohne dass es darauf ankommt, dass der Aufsichtsrat als Organ beschlussfähig ist. So kann das Aufsichtsratsmitglied vermeiden, dass er einem Schadensersatzanspruch ausgesetzt ist, weil das Unternehmen in seine Handlungsfähigkeit in relevanter Weise eingeschränkt ist und man ihr oder ihm den Vorwurf machen kann, das Unternehmen zur Unzeit verlassen zu haben.
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht,
Fachanwalt für Arbeitsrecht,
Rechtsanwalt, Senior Counsel