Publikation –
11.12.2020
Nahezu täglich vermelden die Nachrichten Angaben zu neuen Höchstständen an Corona-Neuinfektionen. Bundes- und Landesregierungen haben reagiert und beabsichtigen nun, nach dem Teil-Lockdown vor oder aber nach der Weihnachtszeit einen „Blitz-Lockdown“ für ganz Deutschland. Hand in Hand mit diesen neuerlichen Restriktionen steigt seit Oktober wieder das Bedürfnis nach Kurzarbeit. In diesem Zusammenhang stellt sich vielerorts die Frage, ob Kurzarbeit im Notfall auch mittels Änderungskündigung einseitig angeordnet werden kann.
Ausgangslage: Keine einseitige Einführung von Kurzarbeit
Wie bereits während der Finanzkrise 2008/2009 haben sich Kurzarbeit und Kurzarbeitergeld (KUG) auch während der Corona-Pandemie als wirkungsvolle arbeitsmarktpolitische Hilfsmittel bewährt und somit dazu beigetragen, dass es branchenübergreifend (noch) nicht zu umfangreichen Personalabbaumaßnahmen gekommen ist. Nach aktuellen Daten der Agentur für Arbeit (AfA) wurde vom 1. bis einschließlich 25. November für 537.000 Personen konjunkturelle Kurzarbeit angezeigt. Der Trend ist angesichts des neuerlichen Teil-Lockdowns und den sich abzeichnenden Verschärfungen der verabschiedeten Maßnahmen steigend.
Nach unseren Erfahrungen bewegen sich auch am Jahresende viele Unternehmen beim Thema Kurzarbeit nach wie vor auf unbekanntem Terrain, da sie bislang – außerhalb der Corona-Krise – wenige bis keine Berührungspunkte mit diesem Krisen-Instrument hatten. Neben zahlreichen zeitraubenden, verwaltungstechnischen Hürden gilt es vor allem, die rechtlichen Voraussetzungen für die wirksame Einführung von Kurzarbeit und Gewährung von Kurzarbeitergeld zu erfüllen.
Hierzu zählt unter anderem, dass Kurzarbeit nicht einseitig vom Arbeitgeber eingeführt werden kann, sondern stets einer vertraglichen Grundlage bedarf, etwa aufgrund einer arbeitsvertraglichen (Ergänzungs-/Änderungs-)Vereinbarung, einer Betriebsvereinbarung oder einer tarifvertraglichen Bestimmung (Siehe hierzu auch unseren Beitrag „Aktuelle arbeitsrechtliche Fragestellungen zur Kurzarbeit – FAQs“).
Unsere arbeitsrechtliche Beratungspraxis zeigt seit Ausbruch des Corona-Virus, dass die zur Existenzsicherung kurzfristig erforderliche Gewährung von KUG in betriebsratslosen Betrieben oftmals am Fehlen entsprechender „Kurzabreit-Klauseln“ in den Arbeitsverträgen scheitert. Die sich in diesen Konstellationen typischerweise immer wieder stellende Frage lautet dann: „Welche alternativen Handlungsoptionen bestehen, wenn Arbeitnehmer sich weigern, freiwillig in Kurzarbeit zu gehen.“
Ein möglicher Ausweg lautete hierbei stets: Der Ausspruch einer (fristlosen) Änderungskündigung, mit der die Möglichkeit zur Anordnung von Kurzarbeit einseitig in das Arbeitsverhältnis eingeführt wird. Das Arbeitsgericht Stuttgart (ArbG Stuttgart, Urteil v. 22.Oktober 2020 – 11 Ca 2950/20) hielt eine solche fristlose Änderungskündigung für gerechtfertigt.
Der Sachverhalt
Ein tarifgebundener, betriebsratsloser Betrieb zeigte bei der AfA einen erheblichen, „coronabedingten“ Arbeitsausfall an, welchen die AfA bestätigte und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von KUG als erfüllt ansah. In einem nächsten Schritt beabsichtige der Arbeitgeber deshalb, die Kurzarbeit durch individuelle Änderungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag mit den Mitarbeitern einzuführen. Eine Arbeitnehmerin verweigerte die Unterschrift. Es folgte eine fristlose, hilfsweise ordentliche fristgerechte Änderungskündigung. Danach sollte der Arbeitgeber zur Anordnung von Kurzarbeit in der Zeit vom 18.05.2020 bis voraussichtlich 31.12.2020 bei Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls und der weiteren Voraussetzungen der §§ 95 ff. SGB III berechtigt sein. Ferner sollte eine Ankündigungsfrist im Hinblick auf den Beginn, das Ende sowie die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit von drei Wochen in Textform gelten. Daraufhin nahm die Arbeitnehmerin die Änderungskündigung unter Vorbehalt an und erhob Änderungsschutzklage.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart:
Das Arbeitsgericht Stuttgart hielt die fristlose betriebsbedingte Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit für wirksam mit der Folge, dass der Arbeitgeber mit sofortiger Wirkung (aber natürlich unter Einhaltung der kommunizierten Ankündigungsfrist) berechtigt war, Kurzarbeit anzuordnen. In dem erheblichen Arbeitsausfall, der auch Voraussetzung für die Gewährung von Kurzarbeitergeld ist, liege zugleich ein „wichtiger Grund“, d. h. das dringende betriebliche Erfordernis zur Änderung der Arbeitsbedingungen, nach § 626 Abs. 1 BGB. Insoweit seien die sozialrechtlichen (Unterstützung von Kurzarbeit durch Zahlung von KUG) und arbeitsrechtlichen (dringliche betriebliche Erfordernis als Voraussetzung für eine Änderungskündigung) Regelungen miteinander verknüpft.
-Die wichtige (dogmatische) Botschaft lautet dabei:
Zu hohe arbeitsrechtliche Anforderungen an eine Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit würden den wirkungsvollen Zugang zu KUG versperren. Damit würde die beschäftigungspolitische Wirkung von Kurzarbeit und Kurzarbeitergeld, nämlich bei vorübergehendem Arbeitsausfall die Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer zu ermöglichen und Entlassungen zu vermeiden – letztlich konterkariert. Die wirtschaftlichen Folgen für Arbeitgeber würden sich auch zu Ungunsten der Arbeitnehmer auswirken.
Von praktischer Bedeutung für die verantwortlichen Beteiligten auf HR-Seite ist, dass der jeweilige Arbeitnehmer nicht konkret vom Arbeitsausfall betroffen sein muss; es genüge vielmehr ein erheblicher Arbeitsausfall auf betrieblicher Ebene (Betriebsbezug). Der für die Anzeige von Kurzarbeit und Beantragung von KUG notwednige persönlichen Bezug werde durch Änderungskündigung hergestellt:
Diese schaffe erstens die Grundlage für die Einführung von Kurzarbeit im Einzelfall und regele zweitens, dass die persönlichen Voraussetzungen zum Bezug von Kurzarbeitergeld gerade in der Person der betroffenen Arbeitnehmerin im konkreten Einzelfall vorliegen müssen. D. h., die jeweilige Anordnung der Kurzarbeit sei erst dann möglich, wenn die Voraussetzungen zum KUG-Bezug auch in der Person der dann betroffenen Arbeitnehmer vorliegen.
Darüber hinaus stellte das Arbeitsgericht im Hinblick auf den bei jeder Kündigung zu berücksichtigenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (ultima ratio) klar, dass dieser bei Beachtung folgender Voraussetzungen eingehalten sei:
• (Erfolgloser) Versuch der einvernehmlichen Vereinbarung von Kurzarbeit;
• Ankündigungsfrist vor Anordnung der Kurzarbeit;
• Zeitliche Begrenzung der Dauer der Kurzarbeit.
Insbesondere sei es für einen Arbeitgeber auch nicht zumutbar, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten: Gerade aufgrund der in der COVID-19-Pandemie unplanbaren Entwicklungen und kurzfristigen Änderungen, bspw. durch behördliche Restriktionen und „harte“ Lockdown-Maßnahmen, entstünden die Gründe für Kurzarbeit in der Regel kurzfristig. Dies hätte zur Folge, dass - je nach Länge der einschlägigen Kündigungsfrist - Unternehmen Kurzarbeit gar nicht mehr sinnvoll einführen könnten, da bis zum Ablauf der Kündigungsfrist die Kurzarbeit bereits überholt wäre.
Beraterhinweis für die betriebliche Praxis - Handlungsalternativen
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart überzeugt, wenngleich es weiter an höchstrichterlicher Rechtsprechung fehlt, sodass die betriebsbedingte Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit weiterhin mit rechtlichen Risiken verbunden ist. Zudem bleibt abzuwarten, ob nachfolgende Gerichte sogar kürzere Ankündigungsfristen als verhältnismäßig bewerten, da in Krisensituationen selbst eine dreiwöchige Ankündigungsfrist existenzbedrohend sein kann. Bleibt der Versuch der einvernehmlichen Einführung von Kurzarbeit erfolglos, ist die Änderungskündigung nach unserem Dafürhalten die einzige Option, die Kurzarbeit doch noch durchzusetzen.
Personalverantwortliche sollten unseres Erachtens - auch in Krisenzeiten – die Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit als letztes Mittel in Betracht ziehen und zuvor – bereits aus Gründen der Akzeptanz innerhalb der Belegschaft - alternative Handlungsmöglichkeiten ergreifen. Hierzu zählen insbesondere Folgende:
Sollte nach alledem keine einvernehmliche Vertragsergänzung bzw. -änderung erzielt werden können und der Ausspruch der Änderungskündigung erforderlich werden, sind die Tücken bei der rechtssicheren Vorbereitung und Aussprache einer solchen Kündigung zu beachten. Die Änderungskündigung muss sorgfältig und hinreichend bestimmt formuliert sowie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden. Der Arbeitgeber kündigt demnach das Arbeitsverhältnis in der bisherigen Form. Zeitgleich bietet er jedoch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen an. Die Kündigung selbst sollte grundsätzlich außerordentlich, hilfsweise ordentlich ausgesprochen und eine angemessene Ankündigungsfrist bis zum Beginn der Kurzarbeit eingeplant werden.
Unsere Praxisgruppe Arbeitsrecht beantwortet gerne Ihre Fragen rund um das Thema Kurzarbeit sowie – falls erforderlich – zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen.